Von Felsen, Flüchen und Freudentänzen
Lernen als lebenslanges Abenteuer
Lernen beginnt und endet nicht mit der Schulzeit. Lernen ist ein lebenslanger Prozess, der uns manchmal viel Freude bereitet, uns aber auch fast zur Verzweiflung bringen kann. Mit diesem Blogartikel möchte ich Mut machen zum Lernen, ein Leben lang, immer wieder neu und insbesondere auch jenseits des Klassenzimmers. Ich greife damit einen Impuls meiner lieben Kollegin Sabine Landua von Wortsalat & Zahlenmix auf, und nehme mit Begeisterung an ihrer Blogparade zum Thema „Lernabenteuer jenseits des Klassenzimmers“ teil: https://sabine-landua.de/blogparade-lernabenteuer/ Unter diesem Link findest du auch Sabines Blogbeitrag „Meine 5 größten Lernabenteuer jenseits des Klassenzimmers“.
Der härteste Teil beim Lernen ist immer der Anfang. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Dinge, die einem einfach so zufliegen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Autofahren gelernt habe. Was war nochmal der Blinker? Wo liegt der erste Gang? Kupplung langsam kommen lassen… Hoppela, abgewürgt! Die ersten Fahrstunden bestanden aus viel Angstschweiß, vermutlich nicht nur meinem eigenen. Da schleichen sich manchmal kleine Gedankenteufel ein: Das werde ich nie verstehen! Genau hier beginnt das eigentlich Wichtige beim Lernen: Der Kampf gegen den Fluch des Anfangs. Jeder, der etwas Neues lernt, kennt diese Phase.
Das Gehirn ist vergleichbar mit einem Muskel, der trainiert werden muss. Anfangs fällt das Üben schwer, aber mit jedem mal wird es etwas leichter. Dinge, die zuerst viel Konzentration und Anstrengung gekostet haben, werden zu automatisierten Abläufen, über die man nicht mehr groß nachdenken muss. Doch bis es dazu kommt, braucht es viele und regelmäßige Wiederholungen. Das ist mit dem Autofahren so wie mit dem Schreiben von Buchstaben, dem kleinen Einmaleins oder dem Spielen eines Instruments.
Bildquelle: freepik
Vor einigen Jahren habe ich mich dazu durchgerungen, einem alten Traum zu folgen und Bratsche zu lernen. Ich war damals schon jenseits der 40 und habe damit den Altersdurchschnitt an der Musikschule steil nach oben verschoben.
Einer der größten Fehler beim Lernen ist der Versuch, zu viel auf einmal zu erreichen. Wer sich vorstellt, ein Instrument wie die Bratsche in einem Jahr erlernen zu können, wird vermutlich schnell frustriert den Bogen ins Korn werfen. Das hatte ich mir wirklich leichter vorgestellt.
Hier kommt die Macht der kleinen Schritte ins Spiel. Wenn ich eine Bergwanderung mache, renne ich ja auch nicht im Dauerlauf dem Gipfel entgegen. Statt dessen gehe ich Schritt für Schritt, nutze Hilfen, die mir zur Verfügung stehen, nehme felsige, unwegsame Strecken als Teil der Herausforderung des Lernens an und gönne mir regelmäßig Pausen. Manchmal, wenn ich wieder frustriert bin, weil ich ein Musikstück nicht hinbekomme, hilft es mir, wenn ich Aufnahmen anhöre, die ich zu Beginn des Übens gemacht habe. Dann bemerke ich erst den Fortschritt, den ich erreicht habe. Das gibt mir neue Motivation. Nur der Vergleich mit mir selbst, meiner eigenen Leistung, bringt mich voran. Würde ich mich mit berühmten Streichern vergleichen, wäre ich vermutlich schnell entmutigt. So gehe ich auch mit den Lernfortschritten meiner Lerntherapie-Kinder vor. In regelmäßigen Abständen mache ich eine Verlaufskontrolle. Dann wird sichtbar, dass der Lesetext mit weniger Fehlern und deutlich schneller gelesen wird, beim Schreiben weniger Fehler passieren und das Rechnen von Aufgaben schneller und sicherer gelingt.
Trotz des regelmäßigen Übens passiert es mir immer wieder, dass ich Fehler mache. Manchmal ist ein Musikstück auch einfach auf einem anderen Level und ich bin noch nicht so weit. Ein Lernen ohne ein Scheitern und Rückschläge gibt es nicht. Auch, wenn ich mich zunächst über meinen Fehler ärgere, genau diese Momente sind es, die mich wirklich voranbringen und mir eine wichtige Hilfe sind. Sie sind Markierungspunkte auf meinem Weg, die mir zeigen, wo ich ansetzen muss, um mich zu verbessern. Manchmal muss ich dann auch einen Schritt zurück gehen, wenn ich noch zu viel von mir verlangt habe.
Das gilt genauso in der Lerntherapie: Fehler sind wertvolle Helfer, die mir zeigen, was schon verstanden wurde und welche Voraussetzungen noch erarbeitet werden müssen, um eine bestimmte Aufgabe schaffen zu können. Wenn ich nach einem Fehler also fertig bin mit fluchen, sage ich mir bewusst: „Okay, das bringt mich weiter“. Ich würde lügen, wenn ich sagte, ich freue mich über meinen Fehler-Helfer, aber ich begegne ihm mit deutlich mehr Gelassenheit.
Natürlich sind die erreichten Erfolge die Highlights des Lernens. Habe ich es endlich geschafft, ein Musikstück fehlerfrei und im richtigen Tempo zu spielen, ist das ein magischer Moment. Die Anstrengung und Ausdauer haben sich endlich gelohnt. Das sind die Sahnehäubchen auf der Lern-Torte und enorm wichtig, um sich zum Weitermachen zu bewegen. Deshalb sucht meine Bratschenlehrerin die Stücke mit Bedacht aus. Sie müssen schaffbar sein, aber auch so gewählt sein, dass ich herausgefordert bin, mich zu verbessern. So ist das auch beim schulischen Lernen. Am besten profitiere ich, wenn die Lerninhalte meinem Leistungsstand entsprechen und sich langsam im Schwierigkeitsgrad steigern. Dazu muss ich natürlich erst herausfinden, was mein Leistungsstand eigentlich ist. Ich werde noch kein ganzes Buch lesen können, wenn noch nicht alle Buchstaben automatisiert abgerufen werden können und ich es nur mit Mühe schaffe, Silben zusammenzuschleifen.
Am Ende geht das Lernen weit über das Aufnehmen von Wissen hinaus. Man könnte es als Lebenskunst bezeichnen. Beim Lernen erlernen wir nebenher noch Geduld mit uns selbst, Ausdauer und den positiven Umgang mit Herausforderungen. Und das Beste am Lernen: Egal wie alt du bist oder wie viel du schon weißt, es hört nie auf, es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Und habe ich etwas erreicht, ist es Zeit, diesen Erfolg zu genießen, sich selbst zu belohnen und vielleicht ein kleines Freudentänzchen aufzuführen. Auch wenn ich mir das Bratschespielen leichter vorgestellt habe, Seiten gerissen sind, Finger (und Ohren) geschmerzt haben und ich mehr als einmal alles hinschmeißen wollte, machen die Erfolge alles wieder wett und ich bin froh, den Mut zum späten Anfang gehabt zu haben.
Bildquelle: Freepik
Egal, ob du ein Musikinstrument lernst oder eine neue Sprache, ob du dich traust, etwas Neues auszuprobieren oder etwas in Angriff zu nehmen, das dir immer als zu schwierig erschien, am Ende zählt nicht nur der reine Wissenserwerb, sondern die Erfahrungen, die du auf deinem Lernweg machst, sind schon für sich gesehen ein lohnender Zugewinn.
Liebe Bettina,
deine Überschrift „Von Felsen, Flüchen und Freudentänzen“ ist einfach wunderbar! Wer kennt sie nicht, die Felsen, die manchmal beim Lernen im Weg liegen und uns fluchen lassen und die Freudentänze, die wir aufführen, wenn wir es am Ende doch geschafft haben! Vielen Dank für den Einblick in dein persönliches Lernabenteuer „Bratsche lernen“ und falls du mal vor Publikum spielen möchtest, ich wär dabei!
Liebe Grüße
Sabine